«Richtig teure Ostern gibt es dann nächstes Jahr»

Iris Fontana | 
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Lust auf Schoggi? Die süsse Verführung wird immer teurer. Bild: pixabay.com

Die Schokoladenbranche kommt im Moment nicht aus den Negativschlagzeilen heraus: Kakaobohnenknappheit, steigende Preise, Entlassungen bei grossen Unternehmen, steigender Konsum von ausländischer Billigschokolade – Probleme an allen Ecken und Enden. Wir gehen der «Schoggikrise» auf den Grund und fragen nach bei David Yersin, Geschäftsführer bei der Pronatec AG, die unter anderem in Beringen Kakaobohnen verarbeitet.

Herr Yersin, wie geht es der Pronatec AG in der aktuellen Situation?

David Yersin: Unser Erleben ist zweigeteilt, je nach Sicht der beiden Betriebe, die wir führen. Im Bereich Produktion mit unserer Anlage in Beringen, in der wir Kakaobohnen zu Halbfabrikaten verarbeiten, läuft es sehr gut. Wir erleben eine riesige Nachfrage, sind voll ausgelastet und müssen Aufträge ablehnen. Die Situation unseres Handelsgeschäfts, das wir von unserer Mutterfirma in Winterthur aus betreiben, ist in Folge der hohen Kakaopreise und des damit einhergehenden grösseren Kapitalbedarfs herausfordernd. Der Weltmarktpreis für Kakao steigt und steigt: Allein im Verlauf des letzten Jahres hat er sich verdreifacht.

Was hat das für Sie für Konsequenzen?

Yersin: Konkret heisst das für uns, dass wir für den Einkauf der 14'000 Tonnen Kakaobohnen, die wir jährlich verarbeiten, drei bis dreieinhalb mehr Kapital als letztes Jahr benötigen. Das müssen wir zuerst einmal finanzieren können. Dazu sind wir mit den Banken im Gespräch, aber auch mit unseren Kunden, die wir anfragen, ob sie einen Teil ihrer Bezüge vorfinanzieren können.

Worin liegt die Ursache für die schwierige Situation?

Yersin: Der unmittelbare Auslöser der Teuerung liegt darin begründet, dass die Elfenbeinküste als weltweit grösster Produzent im vergangenen Jahr 500'000 Tonnen weniger Kakao als im Durchschnitt lieferte. Das hat natürlich Auswirkungen auf den Weltmarktpreis. Wir selbst beziehen keinen Kakao aus der Elfenbeinküste, sondern decken den Grossteil unseres Bedarfs durch eine eigene Firma in der Dominikanischen Republik. Diese kauft die Ernte einer Bauernkooperative mit 3500 Bauern auf. Sie liefern uns Kakao in Bioqualität und das meiste davon auch Fairtrade-zertifiziert. Die Ernte in der Karibik fiel letztes Jahr regulär aus, aber aufgrund der weltweit gestiegenen Nachfrage erhöhte sich der Preis dennoch – für die Bauern natürlich eine sehr erfreuliche Situation.

Kakaobauern

Hoher Kakaopreis: Für die Schokoladenhersteller eine schwierige, für viele Kakaobauern hingegen eine sehr erfreuliche Situation. Sie profitieren von hohen Preisen und erhalten die Möglichkeit, in die Zukunft zu investieren. Unser Bild zeigt einen Bauern und einen Sammelstellenbetreiber der Bauernkooperative Yacao in der Dominikanischen Republik. Bild: ZVG

Also wird nächstes Jahr – falls die Ernte in der Elfenbeinküste normal ausfällt – wieder alles beim Alten sein?

Yersin: Leider nein. Das Problem ist umfassender und struktureller Art. So werden in der Elfenbeinküste und in Ghana die Preise staatlich festgelegt. Die Bauern bekommen also jährlich einen Fixpreis, unabhängig davon, wie hoch der Weltmarktpreis ist. Dieses Jahr haben die Bauern dort das grosse Nachsehen. Sie bekommen wie immer 1500 Dollar pro Tonne, ein Preis der unter dem Existenzminimum liegt. Diese Situation bietet keinerlei Anreiz, für einen guten Unterhalt zu sorgen und zu investieren. Die Plantagen verkommen immer mehr.

Der Preis für Schokolade wird also hoch bleiben?

Yersin: Ja, davon gehe ich aus. Nicht konstant in der Höhe, wie wir es im nächsten Jahr sehen werden, denn die Preissteigerungen werden sich erst etwa in einem halben Jahr voll im Verkaufspreis niederschlagen. Aber der Preis wird meiner Ansicht nach nicht wieder auf das heutige Niveau zurückkommen. Man sollte also jetzt nochmals den Schokoladevorrat auffüllen. Denn der Ladenpreis einer Tafel Schokolade deckt aktuell nicht einmal die Kosten der Kakaomasse, die es für ihre Herstellung braucht.

Also nochmals voll zuschlagen auf Ostern?

Yersin: Ja, die Osterhasen werden im Herbst produziert. Auch da war der Preis schon höher, aber noch in keiner Weise vergleichbar mit dem jetzigen Preis. Richtig teure Ostern gibt es dann nächstes Jahr.

Geschäftsführer David Yersin

David Yersin

 

Nach Abschluss seiner kaufmännischen Ausbildung übernahm David Yersin mit 27 Jahren den von seinem Vater gegründeten Kleinstbetrieb. Die Firma mit zwei Mitarbeitern stellte zahnschonenden Rohzucker her, hatte aber, um den Absatz des Zuckers zu fördern, nebenher auch mit der Schokoladenproduktion angefangen. Hier sah David seine Zukunft und setzte voll auf den gerade aufkommenden Biotrend. Mit Amarú (früher «Chocanat») brachte Pronatec 1996 die weltweit erste Bio- und Fairtrade-zertifizierte Schokolade auf den Markt. Im Jahr 2000 gründete David in der Dominikanischen Republik die Tochtergesellschaft Yacao, welche Pronatec mit Bio-und Fairtrade-Kakaobohnen versorgt. Auf zahlreichen Reisen legte er die Basis des heutigen Handelsunternehmens für Bio- und Fairtrade-Rohstoffe wie Kakaoprodukte, Schokolade, Zucker, Vanille und Gewürze und baute das Unternehmen kontinuierlich auf rund 100 Mitarbeitende aus. 2022 folgte die Gründung der weltweit einzigen reinen Bio-Kakaoverarbeitungsanlage Pronatec Swiss Cocoa Production mit 35 Mitarbeitenden in Beringen. David Yersin lebt mit seiner Familie in der Nähe von Winterthur.

Auch Kinderarbeit auf Kakao-Plantagen ist immer wieder ein Thema. Wie stellen Sie sicher, dass dies bei Ihren Lieferanten anders läuft?

Yersin: In den beiden soeben besprochenen afrikanischen Ländern ist das Thema Kinderarbeit ein riesiges Problem. In der Dominikanischen Republik ist dies anders. Insbesondere bei unserer Kooperative, bei der praktisch alle Bauern Fairtrade zertifiziert sind. Um die Standards zu überprüfen, führen die Zertifizierungsstellen jährliche Kontrollen durch. Seit 1999 gab es bei unseren Lieferanten keinen einzigen Fall von Kinderarbeit.

Der Konsum von Billigschokolade in der Schweiz nimmt seit Jahren zu. Ist Fairtrade-Schokolade heute nicht je länger je mehr einfach ein Luxusprodukt für Gutmenschen?

Yersin: Grundsätzlich hilft uns die Preissteigerung eigentlich, da es sich bei der Fairtrade-Prämie um einen fixen Betrag und keinen Prozentsatz des Kakaopreises handelt. Der Preisunterschied am Gestell gegenüber konventioneller Schokolade verringert sich. Aber es ist leider schon so: Die ganzen schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führen zu einem spürbaren Nachfragerückgang. Immer mehr Kunden greifen zu billigerer, nicht Fairtrade zertifizierten Schokolade. Dabei fast noch am wenigsten in der Schweiz. In Deutschland, Frankreich und den USA ist die Situation gravierender.

Wohin geht der Trend in Bezug auf den Schokoladenkonsum?

Yersin: Insbesondere in der EU, den USA und Kanada verspüren wir eine starke Nachfrage nach dunkler Schokolade. Rund 80 Prozent der angebotenen Rezepturen basieren dort auf dunkler Schokolade. Die Gründe liegen wohl einerseits in Gesundheitsaspekten, aber natürlich auch darin, dass bei dunkler Schokolade das Kakaoaroma viel reiner und intensiver wahrgenommen wird. In der Schweiz präsentiert sich die Situation anders. Der Anteil an dunkler Schokolade liegt lediglich bei ungefähr 50 Prozent. Auch hier geht die Entwicklung in Richtung dunkle Schokolade, jedoch viel langsamer. Weitere Trends sind das gestiegene Interesse der Kunden an der Herkunft des Kakao und an Fragen der Rückverfolgbarkeit. Nebst dem Vegan-Hype werden zurzeit mehr Spezialzucker wie Kokosblütenzucker gewünscht. Auch die Formate ändern sich. Anstatt Tafeln werden vermehrt kleinere Formate oder Riegel nachgefragt, welche in einmal aufgegessen werden können.

Kunden und Produkte

Das Hauptgeschäft der Pronatec AG sind die vier in Beringen aus der Kakaobohne hergestellten Produkte: Kakaomasse (5%), -butter (19%), -pulver (13%) und -nibs (neu lanciert) sowie Couverture (18%). Diese werden an die Lebensmittelindustrie wie Schokoladeproduzenten, aber auch beispielsweise Joghurt- oder Kekshersteller geliefert. Die Couverture geht an die Back- und Schokoladenindustrie. Das Geschäft mit der eigenen Schokolade wie beispielsweise Amarú ist eher klein und läuft nebenher.

Rund dreissig Prozent des Umsatzes wird in der Schweiz erwirtschaftet. Die Hauptabsatzländer im Ausland sind Deutschland, Frankreich und weitere EU-Länder. Immer wichtiger wird zudem Nordamerika.

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