«In Zürich herrscht eine gewisse Wohlstandssättigung»

Iris Fontana | 
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Wirtschaftsfeindliches Zürich? Firmen wandern in andere Kantone ab. Bild: pixabay.com

Wie ein Bericht der NZZ zeigt, laufen dem Kanton Zürich Unternehmen davon – sie siedeln unter anderem in die Nachbarkantone um. Wir fragen beim Schaffhauser Wirtschaftsförderer Christoph Schärrer nach, ob unser Kanton von der Entwicklung profitiert und was das Ganze für die Schweizer Wirtschaft bedeutet. Im Gespräch weist Schärrer zudem den Vorwurf aus Zürich zurück, wir als Nachbarn verhielten uns wie Parasiten.

Der Kanton Zürich hat zum zweiten Mal in Folge am meisten Unternehmen an andere Kantone verloren. Sind Sie überrascht?

Christoph Schärrer: Nein. Es bestätigt meine Vermutung, dass Zürich seine wirtschaftsfreundliche Haltung mehr und mehr verliert, insbesondere die Stadt Zürich. Dies ist für die gesamte Schweiz schädlich, da Zürich einer unserer Hauptwirtschaftstreiber ist. Wenn Zürich an Attraktivität verliert, wirkt sich dies auch auf die anderen Kantone negativ aus.

Wo sehen Sie die Gründe?

Schärrer: In Zürich herrscht eine gewisse Wohlstandssättigung. Und die in der Stadt vorhandene, wachsende Skepsis multinationalen Grossunternehmen gegenüber ist nicht hilfreich. Das äussert sich dann in vielen Auflagen und komplizierten Prozessen. Ausserdem denke ich, dass das Bewusstsein dafür verloren gegangen ist, wie die Schweiz ihren Wohlstand erarbeitet hat: Durch im Ausland erzielte Wertschöpfung – vielfach durch Industrieunternehmen erarbeitet, um die herum sich dann Dienstleistungsfirmen gruppierten. In Schaffhausen sehen wir dies sehr schön. Diese Unternehmen sind sehr wichtig als Arbeitgeber und Steuerzahler.

Der Zuger Finanzdirektor Ernst Tännler bemerkte in der NZZ, dass die linken Zürcher Städte Leistungsträger vertreiben würden und so zu einem «nicht unwesentlichen Standortförderer von Zug» würden. Teilen Sie diese Ansicht und trifft das auch auf Schaffhausen zu?

Schärrer: Ja und ja. Immer wenn ein Konkurrent schwächer wird, stärkt dies die eigene Position. Der Kanton Schaffhausen ist, gerade wenn es um internationale Konzernstrukturen geht, seit längerem ein ernstzunehmender Player in der Schweiz. Dies zeigt sich unter anderem an den diversen, insbesondere US-amerikanischen Firmen, die sich bei uns angesiedelt haben. Darüber hinaus profitieren wir davon, dass wir über ein industrielles Umfeld verfügen und die Vernetzung aufgrund der Kleinräumigkeit gut funktioniert: Kurze Wege, schnelle und pragmatische Entscheide und, was immer wichtiger wird, eine lebenswerte Region, in der die Work-Life Balance stimmt. Hinzu kommt die gute verkehrstechnische Lage.

Gibt es noch weitere Gründe, warum Schaffhausen in der Statistik besser dasteht als Zürich?

Schärrer: Neben den genannten Faktoren bieten wir Unternehmen auch ein sehr attraktives Kostenpaket. Zudem bin ich überzeugt, dass unsere Positionierung von Schaffhausen als Innovationstreiber und Macherregion bei Firmen, die an einer Ansiedlung interessiert sind, Anklang findet. Diesen in die Zukunft gerichteten Blick und Wille unterstreicht die Entwicklungsstrategie 2030, die Pioniergeist fördern und für Unternehmen neue Freiheiten schaffen soll.

Und in Sachen tiefe Staatsquote?

Schärrer: Die konkreten Zahlen kenne ich nicht, wir stehen als Kanton Schaffhausen aber sicher besser da als Zürich. Was mich beunruhigt ist jedoch, dass die Staatsquote schweizweit ansteigt. Diese muss finanziert werden, was oft den Ruf nach höheren Steuern auslöst.

Der Thurgau ist Spitzenreiter im Ranking. Was können wir vom Nachbarkanton lernen?

Schärrer: Im Ranking werden nominale Zahlen verglichen, wenn man die Zahlen relativ betrachtet, steht der Kanton Schaffhausen an zweiter Stelle hinter Appenzell Ausserrhoden. Wir gehören also zur absoluten Spitzengruppe.

Was entgegnen Sie dem Vorwurf des Zürcher Finanzdirektors Ernst Stocker, dass sich die Nachbarn Zürichs parasitär verhielten und von der geografischen Nähe sowie den guten Verkehrsanbindungen profitierten?

Schärrer: Diese Ansicht teile ich überhaupt nicht. Wir befinden uns in einem Standortwettbewerb. Die Zentren punkten mit Universitäten, Bundesinstitutionen und anderem. Es ist erwiesen, dass sich gerade um solche Institutionen viele privatwirtschaftliche Unternehmen ansiedeln. Das ist also ein starker Vorteil, den die Zentren mitbringen, und den wir Randregionen mit anderen Argumenten – wie beispielsweise tiefen Kosten, Top-Dienstleistungen und pragmatischen Entscheiden – kompensieren müssen.

Christoph Schärrer

Christoph Schärrer

Christoph Schärrers beruflicher Werdegang führte 2011 nach Stationen bei verschiedenen Beratungsunternehmen zur Generis AG in Schaffhausen. Mittlerweile ist Schärrer Partner des Unternehmens und seit 2015 Delegierter für Wirtschaftsförderung des Kantons Schaffhausen. In dieser Funktion ist er verantwortlich für die Promotion des Wirtschaftsstandorts Schaffhausen. Zu seinen Aufgaben gehören im Rahmen der Wirtschaftsförderung die Ansiedlung von Unternehmen, die Begleitung von Innovations- und Entwicklungsprojekten von ansässigen Unternehmen sowie das Setzen von Impulsen zur Weiterentwicklung der Rahmenbedingungen und Standortfaktoren im Kanton Schaffhausen. Schärrer lebt mit seiner Familie in Neuhausen am Rheinfall.

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